Die Hundertjahrfeier 1910

Das Jahr 1910 steht für die Schützen ganz im Zeichen der Hundertjahrfeier. Über Vorbereitungen und Verlauf des Festes gibt uns das „Goldene Buch“ der Gesellschaft Auskunft. Dies ist eine Denkschrift und ein Bericht über die „Säcular“-Feier, entstanden durch die Anregungen des Schützenmeisters Geheimer Kommerzienrat Georg Krauss und Altbürgermeister Adam Wenglein. Der Verfasser dieser Schrift ist der Oberlehrer und Kantor Andreas Stößlein, die Reinschrift fertigten die Ehrwürdigen Armen Schulschwestern von Lichtenfels.

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Aktive Schützen vor dem Schützenhaus im Jubiläumsjahr 1910


Drei Jahre dauern die Vorbereitungen zu diesem Fest, hauptsächlich getragen und geleitet von den beiden Schützenmeistern Kommerzienrat Georg Krauss und Heinrich Schardt. Adam Wenglein regt an, ein bleibendes Gedenken an die Säcular-Feier zu schaffen: „Eine Ehrenkette“.
Schon vom Jahre 1907 ab gingen von seiner Hand geschrieben an Allerhöchste, Höchste und Hohe Personen, an Bekannte und Freunde zahlreiche Bittgesuche ab um Stiftung einer Münze oder Medaille für die Ehrenkette zum 100jährigen Jubiläum. Insgesamt werden 113 Denkmünzen gespendet. Aus den 18 Münzen, die von den regierenden Häusern gestiftet sind (Deutscher Kaiser Wilhelm II., fast alle Prinzen des bayerischen Königshauses), entsteht die „Jubiläumskette“, die der jeweilige erste Schützenmeister bei festlichen Anlässen trägt. Zu ergänzen ist, dass die Medaille, die Herzog Wilhelm von Bayern bereits 1812 anlässlich eines Besuches des Lichtenfelser Freischießens gestiftet hatte, und die der erste Schützenmeister bisher bei besonderen Anlässen trug, nun in die Jubiläumskette aufgenommen wird. Aus den übrigen 95 Münzen wird die „Schützenkönigskette“ gefasst.

1910ehrenmedaille wilhelm von bayernIm „Goldenen Buch“ steht: „Die Jubiläumskette wurde nach einem Entwurf des Kunstmalers Fritz Rehm, München, in der kunstgewerblichen Werkstätte von Eduard Schöpflich in München gefertigt. Die eigentliche Kette ist silbervergoldet und stellt eine reiche, feingegliederte Goldschmiedearbeit dar, deren Wert noch gesteigert wird durch die feine Emailarbeit, in welcher die eingefügten Wappen von Lichtenfels, Oberfranken, Bayern und Deutschland ausgeführt sind. Hinter dem Wappen von Lichtenfels ist unsichtbar wie von einem Medaillon die Verfertigungsurkunde, auf Silberplättchen gestochen, eingelassen. Die Jubiläumskette ist drei Kilo schwer. Sie ist ihrer echt künstlerischen Komposition und in ihrer virtuosen Ausführung ein glänzendes Zeugnis einheimischen Kunstgewerbes, ein Meisterstück der Goldschmiedekunst. Nach vollzogener Fertigung der Jubiläumskette begab sich Seine Kgl. Hoheit Prinzregent Luitpold in das Goldschmiedegeschäft von Eduard Schöpflich, um die Kette persönlich in Augenschein zu nehmen; desgleichen Seine Kgl. Hoheit Prinz Ludwig von Bayern, Hochderselbe durch sein Hofmarschallamt anher mitteilen lässt, dass er sich „sehr anerkennend“ über die gefertigte Schützen-Jubiläumskette geäußert habe.“

Der Festverlauf

Am Samstag, dem 9. Juli 1910 findet – während sich viele Gäste auf der Festwiese zur Bierprobe treffen – der Festkommers statt. „Eine hochansehnliche Festversammlung: Die 1910jubilaeumseinladungoffizielle Welt, Schützen und Schützenfreunde von nah und fern füllten die weiten Hallen des geschmackvoll und sinnig dekorierten Schießhauses bis auf den letzten Platz. Weihevolle Stimmung überall ! Dieser gehobenen Feststimmung angepasst war die Darbietung der vorzüglichen Festmusik: Vollzählige Kapelle des Kgl. 5. Infanterie-Regiments unter Leitung des Kgl. Musikmeisters Fürst.“ Lassen wir den Schützenmeister Heinrich Schardt bei seiner Begrüßung sprechen: „Als heute Nachmittag die Böllerschüsse durch das Maintal schallten, und die Berge das Echo widerhallten, da schlug wohl höher manches Schützenherz und freudig erregt lauschten wir der so lieblichen Musik. Wussten wir doch, dass dies die Einleitung zu unserem langersehnten Schützenfeste, das heuer um so mehr an Bedeutung gewinnt, als mit ihm zugleich die 100jährige Erinnerungsfeier der Wiedergründung unserer Schützengesellschaft verbunden wird.“ In mehreren Reden wird immer wieder deutlich, dass die Schützenfeste wesentliche Bestandteile des Volkslebens, dass sie Bürger- und Stadtfeste sind. In der Festrede gibt Kommerzienrat und Schützenmeister Georg Krauss u.a. einen Überblick über die Entwicklung des Schießwesens und des Schießsports innerhalb der Gesellschaft:

„Denken wir noch 10 Jahre zurück, nur 10 Jahre sage ich, und wir werden finden, dass eine geradezu unglaubliche Entfaltung auf diesem Gebiete stattgefunden hat. Vor zehn Jahren noch zwei primitive Scheibenstände, vor sechs Jahren schon eine geräumige Schießhalle mit fünf modernen Ständen, und heute eine freie Bahn für neun Stände, wie sie wohl kaum an anderen Orten von der Bedeutung von Lichtenfels anzutreffen sind. Und wenn ich auch zugebe, dass diese weiteren vier Stände hauptsächlich in Anbetracht unseres jetzigen Jubiläumsschießens errichtet wurden, so gewann ich doch heuer zur Zeit des Anschießens den Eindruck, dass es hier keines Jubiläumsschießens bedarf, um auch diese neue Einrichtung zur Geltung zu bringen, im Gegenteil, es schien fast so, als ob auch diese neun Stände nicht mehr genügen wollten. Auch das Schießen auf das laufende Wild haben unsere aktiven Schützen in den letzten Jahren aufgegriffen, ebenso noch das Zimmerstutzenschießen, dem während der Wintermonate gehuldigt wird, wodurch der sportliche Geist nicht nur zur Sommerszeit währen und die Kameradschaftlichkeit unter den Schützen eine weitere Anregung erhalten sollte. Die Zahl der aktiven Schützen hat heute eine Höhe erreicht, wie nie zuvor: nicht weniger als 39 aktive Schützen treten heute vor die Front, sie alle, das weiß ich, hängen mit Liebe an unserem Schießwesen und geben eine sichere Gewähr dafür, dass kein Stillstand eintreten werde in der Weiterentwicklung unserer Schützengesellschaft.
Am Sonntag, dem 10. Juli 1910, findet der Festzug statt. Die Lichtenfelser haben ihre Häuser und die Straßen geschmückt. Eisenbahnzüge bringen Freunde und Gäste nach Lichtenfels, alle wollen sie zusammen mit den Einheimischen den Festzug erleben und mit den Schützen feiern.

Der Festzug hat folgende Aufstellung:

1. Herolde auf stattlichen Pferden

2. Feuerwehrabteilung

3. I. Abteilung der Festmusik

4. Vereine der Stadt Lichtenfels

5. Auswärtige Schützenvereine mit ihren Fahnen: Coburg, Kronach, Marktzeuln, Münchberg, St. Georgen, Staffelstein

6. II. Abteilung der Festmusik

7. Die Stadtvertretung

8. Eine Zielergruppe

9. Knaben mit Fahnen und Scheiben

10. Tellschütze mit Knabe

11. Armbrustschützen

12. Die Fahnenjunker mit der Schützenfahne

13. Kgl. Schützenkommissär

14. Die hiesigen Schützen

15. Feuerwehr


Der Festzug nimmt folgenden Verlauf: Kronacher Straße, Bamberger Straße (Gegenzug), Bahnhofstraße, Badgasse, Marktplatz, um das Rathaus, Laurenzistraße, Hirtenstraße, Coburger Straße, Festplatz.


1910schuetzenzug coburgerstr„Als der Festzug auf dem Festplatz einmündet, waren die altersgrauen Pappeln und die weitkronigen Linden der Festwiese nicht mehr imstande, die tausend und abertausend Gäste zu bergen unter ihren Schatten. Welch buntes Festgetriebe ! Welch frohe Feststimmung !“
Über die anderen Festtage schreibt der Chronist: „Jeder Tag versammelte einen Großteil von Lichtenfels auf der Festwiese. Auch die Besuchstreue der Nachbarorte bewährte sich an allen Festtagen. Jeder der festlichen Tage zeigte, wie angenehm und erquickend sich´s auf der reichbeschatteten Festwiese feiern lässt.“
Auch sportlich ist das Fest ein voller Erfolg. 121 Schützen beteiligen sich am Wettbewerb. „Die dem Schießhaus benachbarte freundliche Turnhalle ist ihrer Bestimmung untreu geworden, sie ist zum Schmuckkästchen geworden, zum Ehrengabentempel. Einig ist man sich wohl allseits darin, dass noch selten ein Schützenverein ein Jubiläumsschießen an Ehrengaben so ausstatten konnte, wie Lichtenfels es vermochte.“
Am Donnerstag, den 14. Juli 1910, geht das Fest zu Ende. Abends findet der feierliche Rückzug zum Rathaus statt, anschließend im Schützenhaussaal die Preisverteilung.


Auch in den nächsten Jahren feiern die Schützen rauschende Fest.

Doch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges durch die Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli 1914

erlischt die Tätigkeit der Schützen für vier Jahre.